Was dieses ziemlich unglaubliche Album aus der in naher Zukunft wohl größten (offiziell) französischsprachigen Stadt der Welt unter anderem vermittelt, ist eine Idee davon, was man alles verpaßt. Denn die Musikszenen der großen afrikanischen Metropolen dürften eine kaum übersehbare Menge an solchen Schätzen bergen, von denen wir First World-Ignoranten niemals etwas hören werden. Daß das in diesem Falle anders ist, ist vor allem Produzent Liam Farrell alias Doctor L zu verdanken, der die Band über die Arbeit an einem Album mit Afrobeat-Legende Tony Allen kennenlernte. Mbongwana Star rekrutierten sich aus Polio-Opfern, die ihre Rollstühle durch die Straßen der dysfunktionalen Riesenstadt bewegten – die Straßen, die gleichzeitig ihr Zuhause waren. Und die Musik, die diese Menschen machen, entspricht nicht unserem beliebten Afrika-Klischee, sie ist nicht warm und optimistisch, sondern messerscharf und dunkel. Natürlich fußen diese Songs auch auf afrikanischen Traditionen, doch ebensoviel haben sie mit Punk und Dub zu tun: Das ist jedenfalls unverkennbar ein Großstadt-Sound, der mit Folklore wenig am Hut hat. Man muß die Texte (auf Lingala, der inoffiziellen Sprache der Stadt) nicht verstehen, um die Brisanz, die Kraft und Aktualität dieser Musik zu begreifen. Ein Album wie eine Faust im Gesicht (dabei durchaus nicht übertrieben laut!): Wer es gehört hat, dessen Afrika-Bild wird sich für immer verändert haben. (2015)