Rezension
Gut, der Titel ist diskutabel, allein weil allgemein betrachtet das sogenannte “silberne Zeitalter” der russischen Künste, in dem unterschiedlichste Strömungen nebeneinander existierten und sich gegenseitig befruchteten, im Oktober 1917 abrupt beendet wurde und einige der Stücke, die der Pianist für dieses Mammut-Album auswählte, deutlich später entstanden (Strawinskys “Serenade” 1925, Prokofieffs achte Klaviersonate gar erst 1940). Das ist aber auch das einzige, das man hier ernsthaft bemängeln darf. Denn das, was der im März 2021 gerade 30 gewordene Russe hier vorgelegt hat, ist schon ein sehr beeindruckendes pianistisches Magnum Opus: Man weiß kaum, wo man anfangen soll. Für Trifonovs Prokofieff-Intrepretationen gibt es nur das englische Wort “jaw-dropping”, seien es die funkenschlagenden “Sarkasmen”, das überwältigende zweite Klavierkonzert, das man mit solcher Energie und hörbarer Begeisterung für das Werk selten gehört hat (allein das atemlose Scherzo!) oder die an den Interpreten ganz andere Anforderungen stellende, dunkel mäandernde späte Klaviersonate. Nicht weniger überzeugend das einzige Klavierkonzert Alexander Scriabins, ein noch mit der Romantik verbundenes frühes Werk (1896 entstanden), dessen an- und abschwellende Dynamik Trifonov und Gergiev hier wunderbar delirierend gestalten. Daß der temperamentvolle Virtuose Trifonov sich für Strawinskys so farbenprächtige wie technisch herausfordernde Musik begeistern kann, verwundert kaum; insbesondere die “Feuervogel”-Suite in der Klavierbearbeitung des Busoni-Schülers Guido Agosti müßte wohl in eine Post-Milleniums-Fortsetzung der legendären Retrospektive “Landmarks Of Recorded Pianism” aufgenommen werden. Nach Trifonovs starkem Rachmaninow-Statement (2018/19) ein weiterer gewaltiger Gipfel in der Diskographie eines wahren Ausnahmekünstlers. (2020, Vinyl 2021)