Rezension

Wenn die Sängerin in „My Little Love“ tatsächlich anfängt zu weinen, ist das kein Show-Element. „30“ ist eines der schonungslosesten, intensivsten Trennungsalben der Popgeschichte. Adele spricht in diesem Song zu ihrem kleinen Sohn; im Grunde ist das ganze Album so etwas wie ein Dokument, in dem sie, die Mutter, ihm zu erklären versucht, was geschehen ist. Es ist kein wütendes Album, die Sängerin übernimmt ihren Teil der Verantwortung. Was bei ihr schon immer faszinierte, hier mehr denn je, ist ihr Talent, derart persönliche Gefühle in große, wirklich sehr große Popmusik zu verwandeln, ohne dem Hörer das unangenehme Gefühl zu geben, einem Seelen-Striptease beizuwohnen. Authentizität ist immer wieder das Kernwort, und es gibt vermutlich keine Sängerin, die ein derart professionell klingendes Album wie dieses machen kann, ohne eben jene Authentizität zu verlieren. „30“ ist nicht nur ein Album, das Adeles Anspruch auf den R’n’B-Thron festigt, es ist auch klassisches Entertainment der Judy Garland-Schule. Und dabei eben auch zutiefst berührend, bei aller Perfektion (der gesanglichen wie der produktionstechnischen) von frappierender Intimität. Man glaubt eigentlich nicht, daß das geht – bis man „30“ gehört, oder besser: erfahren hat. (2021)