Rezension
Mit ihrer Band Rachel’s war Grimes für einige der wunderbarsten LPs der 90er verantwortlich. Instrumentiert mit Violine, Cello, Vibraphon und Klavier, waren diese kammermusikalischen Meisterwerke kaum kategorisierbar, waren weder Folk noch Pop noch Post Rock (wozu man sie meistens rechnete, aus Verlegenheit und weil’s damals ein hippes Genre war) und auch nicht Neo-Klassik (der Terminus kam aber auch erst später auf). Nach Auflösung der Band verlor man Grimes aus den Augen, die aber keineswegs untätig war und sich an mehreren Projekten beteiligte, hin und wieder auch Soloalben veröffentlichte. Mit diesem ist sie nun wieder sehr nah an ihrer ehemaligen Band angekommen. Der Tod ihres Bruders, Rachel’s-Drummer Edward Grimes, im Jahre 2017 hatte die Musikerin dazu geführt, sich mit ihrer Familiengeschichte zu befassen; aus alten Briefen und Dokumenten (bald auch außerfamiliär) entstand nach und nach ein faszinierendes Bild des ländlichen Kentucky im frühen 19. Jahrhundert. Grimes versetzte sich in die Menschen von damals hinein, schrieb weitere fiktive Briefe und Tagebucheinträge; alles zusammen ergab ein faszinierendes Album, das tatsächlich an die Rachel’s-Hauptwerke anknüpft, in bezug auf die Instrumentierung ebenso wie auf die Atmosphäre. Die Texte werden teils gesungen, teils zur Musik vorgetragen, aber auch die Spoken Word-Passagen sind kunstvoll in das Gesamtbild integriert. Nichts zum Nebenherhören, sicher, aber dafür waren Rachel’s-Alben schon immer zu schade. (2019)