Rezension
Guldas 1970er Einspielung der „Diabelli-Variationen“ zählt fraglos zu seinen bedeutendsten Aufnahmen überhaupt – und zu seinen bis heute umstrittensten. Das Werk an sich ist ein Gipfelpunkt der Klavierliteratur: In seiner letzten großen Schöpfung für das Piano verknüpfte der Komponist barocke Kontrapunktik mit der Form- und Klangsprache der Wiener Klassik, löste die Formen dabei auch wieder auf und griff so der Romantik vor. Ein Schlüsselwerk, wenn es je eines gab. Und voller Extreme, für einen extremen Charakter wie Friedrich Gulda nachgerade ein Fressen. In der Wahl seiner Tempi und der Dynamik ging Gulda hier an Grenzen, für manchen Kritiker hatte er sie überschritten. Richtig ist, daß seine Ausbrüche an Brutalität grenzen – aber niemals um des Effekts willen. Guldas Lesart (Lichtjahre entfernt etwa von der von feinsinnigem Humor geprägten Interpretation eines Alfred Brendel) zwingt zur Auseinandersetzung. Es ist gar nicht notwendig, Gulda in allen Wendungen recht zu geben: Man wird hier in jedem Falle reichlich Aspekte finden, die sonst in diesem Werkzyklus gar nicht oder höchstens andeutungsweise vorkommen – und die zumindest diskutabel sind. Vermutlich die spannendsten, sicher die turbulentesten „Diabelli-Variationen“ auf Schallplatte; neu und rein analog für diese Vinyl-Wiederauflage remastert! (1970/2016)