Rezension
Dies ist nichts weniger als eine Jahrhundert-Interpretation. Die Portugiesin hält eine im Grunde unmögliche Balance zwischen spürbarer Passion und vom ersten bis zum letzten Ton durchdachter Gestaltung. So leicht lassen sich gerade Chopins „Nachtstü-cke“ überdramatisieren, so groß ist die Versuchung pianistischer Selbstdarstellung. Nicht die Spur davon findet sich hier. Und doch, oder gerade deshalb, klebt man mit beiden Ohren an jeder noch so flüchtigen Note, ist ergriffen und hingerissen von Pires‘ Chopin-Bild. Denn der war niemals Sentimentalist, sondern goß tiefste menschliche Empfindungen in seine Musik. Einem Interpretations-Ideal für diesen Komponisten kam vielleicht nicht einmal Rubinstein so nahe. (1996/2016, Pressung aktuell)