Rezension
Die amtierende Königin des britischen Folk beging ihr 30jähriges Bühnenjubiläum mit einer Art Werkrückschau, keiner gewöhnlichen freilich. 15 Songs wählte sie aus, um sie mit ihrer derzeitigen, mit allen Wassern gewaschenen Band neu einzuspielen. Der reinen Lehre fühlte Carthy sich noch nie verpflichtet, ihr Folk-Verständnis schloß mit Recht immer Fremdeinflüsse und eine damit verbundene Weiterentwicklung der Gattung mit ein. Die stilistische Bandbreite, derer man hier Zeuge wird, ist dennoch frappierend, und manchmal bleibt einem schier der Mund offen stehen, wenn die Band virtuos zwischen irisch-englischer Tradition, kantigem Rock, Tango, Jazz, Morricone-Score-Zitaten oder Prog-Tendenzen hin- und herschaltet, kombiniert, verschmilzt. Dazu kommen natürlich auch immer wieder spektakuläre Soli der Bandleaderin, die fraglos zu den bemerkenswertesten Violin-Koryphäen (man traut sich bei ihr nicht, von „Fiddle“ zu sprechen) der Folk-Geschichte gehört. Gigantisch. (2022)