Rezension
„Chapter One“, der mit einem dreißigköpfigen Ensemble eingespielten erste Teil des „Coin Coin“-Projektes (2011), wurde in der Oktoberausgabe 2013 des deutschen Rolling Stone unter die 50 bedeutendsten Jazz-Alben überhaupt gewählt. Das sagt eine ganze Menge nicht nur über den Stellenwert der 1978 geborenen Saxophonistin, sondern auch über die Aussagekraft, die Emotionalität ihrer Musik. „Chapter Two“ mit dem Untertitel „Mississippi Moonchile“ steht dem Vorgänger diesbezüglich in nichts nach, die Musik selbst ist jedoch kaum vergleichbar. Roberts konzipierte den zweiten Teil des auf insgesamt 12 Kapitel angelegten Zyklus‘ für ihr New Yorker Sextett, einer außergewöhnlichen Band, der neben einem Trompeter (Jason Palmer), Pianisten (Shoko Nagai), Bassisten (Thomson Kneeland) und Drummer (Tomas Fujiwara) auch der Operntenor Jeremiah Abiah angehört, was schon allein für bislang ungehörte neue Töne und Farben im Jazz sorgt. Roberts‘ freie, dabei aber immer wieder an Traditionslinien von Blues über New Orleans und Bop bis zum modalen Jazz anknüpfende Musik stünde aber auch so auf einem Blatt für sich. Der ganze „Coin Coin“-Zyklus ist dabei ein Tritt gegen das Schienbein offizieller amerikanischer Geschichtsschreibung, die die Geschicke der farbigen Bevölkerung (Ureinwohner wie eingeschleppte Afroamerikaner) immer noch geflissentlich ignoriert. In der Tat klang wenig im Jazz seit den Tagen von Ornette Coleman, Max Roach, Sun Ra, Albert Ayler und vor allem Archie Shepp (deren Musik ja auch vielfach politisch motiviert war) so aufwühlend und dringlich wie dies. (2013)