Rezension
Auf Nils Frahms „All Melody“ konnte man das zwölfköpfige Londoner Vokalensemble zuletzt hören – bislang arbeitete der von Sänger, Komponist und Produzent Kieran Blunt (Strange Boy) geleitete Chor vor allem für andere. Doch nun hat er ein eigenes Album aufgenommen – und es ist eines der spannendsten Alben des Jahres. Warum eigentlich haben Chöre so einen schlechten Ruf in der Popmusik? Die menschliche Stimme ist das faszinierendste Musikinstrument, das es gibt, seine klangfarbliche Bandbreite ist ebenso unendlich wie die emotionale, und im Verein mit weiteren Stimmen kann immer wieder Unglaubliches geschehen. So auch hier: Mit sehr behutsamer Unterstützung von Perkussion und Elektronik entstehen Zauberwelten, mal zerbrechlich wie feinste Eiskristalle, mal überwältigend. Vorbarocke Madrigal-Ästhetik hat in dem Soundkonzept dieser „Band“ ebenso ihren Platz wie die Musik von Steve Reich und Philip Glass; sie läßt sich als meditativ bezeichnen, regt aber gleichzeitig das Gehirn an. Diese Musik ist weder kategorisier- noch vorhersehbar – und doch alles andere als unzugänglich: Im Gegenteil, selten fällt das Eintauchen in scheinbar fremde Klangwelten so leicht wie hier. Spellbinding, wie der Brite sagt. (2019)