Der Blues: Wer ihn über die immergleichen zwölf Takte und bestimmte Instrumente definiert, hat ihn nicht verstanden. Denn im Blues geht es nicht um Formalismen, sondern um Emotionen. Dunkle vor allem, gebrochene Herzen, Einsamkeit, Verzweiflung, auch Begierde. Jede Generation muß ihn für sich neu formulieren, und die jeweils ältere wird das möglicherweise nicht nur nicht verstehen, sondern nicht einmal merken, daß es sich beim Ergebnis um dasselbe handelt wie das, was ihre Teenagerzeit prägte – auch, wenn die musikalischen Mittel ganz andere sind. In den 90ern etwa Trip Hop, und der verzweifeltste Blues kam von Portishead aus Bristol. HÆLOS aus London, bestehend aus Lotti Bernardout, Arthur Delaney und Dom Goldsmith, haben nun eine neue Definition vorgenommen: Statt langsam pulsierender Beats eine rasche Abfolge von Klicks und Sounds, die wie das Grundrauschen einer beliebigen Mega-City wirkt, einer Stadt, die nie schläft und in der man doch so einsam sein kann wie im tiefsten und finstersten Wald. Darüber eine Atmosphäre aus Angst und Traurigkeit, erzeugt durch abstrahierte Club-Musik, die von der hedonistischen Club-Atmosphäre kaum weiter entfernt sein könnte, und von Bernadouts verwehter, kaum ortbarer Stimme. Ein Blues für das 21. Jahrhundert, nicht weniger intensiv und auf seine Weise authentisch als die ihm vorangegangenen Entwürfe vor 30, 60 oder 90 Jahren… (2016)