Thom Yorke beherrscht, und das nicht nur in seinen elektronischen Soloalben, ein ziemlich einzigartiges Kunststück: Daß man sich in Musik, die eigentlich dystopisch ist, tatsächlich geborgen fühlt. Auch „Anima“, sein drittes reguläres Solo-Werk, ist ein Porträt unseres „Age of Anxiety“ (Leonard Bernstein prägte den Begriff für seine zweite Symphonie, die bereits 1948/49 entstand!). Doch man setzt sich den beklemmenden Gefühlen gerne aus, läßt sich von Yorke durch digitale Landschaften führen, die beklemmend sein sollten, es unter seiner Führung aber irgendwie nicht sind. Zumal mitten in diesem Album ein Song plaziert ist wie ein heimatlicher Herd in einer postapokalyptischen Wüste: „Dawn Chorus“ heißt er, und er allein macht dieses Album zum Meisterwerk, das zu den Gipfelpunkten in Yorkes bisheriger Diskographie (Radiohead ausdrücklich eingeschlossen) gezählt werden muß. Bevor nun aber jemand den Song vorab auf irgendeiner Onlineplattform hört: Er funktioniert nur in Verbindung mit den vier Songs vor und nach ihm. Yorke ist ein konservativer Avantgardist, und das hier ist Album-Kunst alter (und sehr hoher) Schule. (2019)