Rezension

Spätestens seit Harry Belafonte gelten Carnegie Hall-Mitschnitte als diskographische Höhepunkte, haftet ihnen etwas geradezu Mythisches an. Im Falle dieses Konzertes vom 21. (nicht 22., wie das Cover behauptet) Februar 1963 völlig zu Recht. Ausgerechnet mit dem ältesten Schlachtross von allen, dem „St. Louis Blues“, eröffnete das Quartett die Show – und widerlegte mit ihrer großartigen Adaption sämtliche Kritiker, denen die Band zu weiß und zu kommerziell war (wobei kaum eines ihrer Studioalben bis zu diesem Zeitpunkt einen derartigen Vorwurf wirklich verdient gehabt hätte). Brubeck selbst zitiert mehrere große Kollegen von Ellington bis Erroll Garner und spielt sich mit Paul Desmond über fast zwölf Minuten die Bälle zu (das Finale allerdings gehört Drummer Tom Morello, dem man ganz bestimmt nicht anhört, daß er sich gerade von einer Grippe erholte). Bei der zweiten Nummer, dem Titelstück des gerade erschienenen Albums „Bossa Nova U.S.A.“, hat das Quartett das Publikum längst vollkommen im Griff. Und wie es dann mitgeht! Besonders schön zu hören etwa nach dem aufgrund seiner komplexen Rhythmik eigentlich kaum Mainstream-tauglichen „Eleven Four“, einer Desmond-Bravour-Nummer. Oder nach Morellos sagenhafter Performance in „Castilian Drums“! Zuvor allerdings wird im Standard „Pennies From Heaven“ noch die ganz hohe Schule des Kontrapunkts gefeiert, ebenfalls denkbar „unverkopft“. Die größten Hits kommen natürlich am Schluß – und die Versionen von „Blue Rondo A La Turk“ und „Take Five“ sind nichts weniger als ein Triumphzug. Es gibt nicht wenige große Live-Alben im Jazz jener Jahre, meist freilich aus weniger noblen Schuppen wie dem Village Vanguard oder dem Plugged Nickel. Dieses hier zählt aber nicht nur aufgrund der aristokratischen Umgebung zu den besten: Mitreißendere Tondokumente des klassischen Brubeck-Quartetts gibt es nicht. Eine audiophile Wiederauflage war da mehr als überfällig! (1963/2013, Pressung aktuell)