Rezension
Kamasi Washingtons Score zu der begeistert aufgenommenen Michelle Obama-Dokumentation ist mehr als ein Soundtrack. Washington mußte sich hier in doppelter Hinsicht beschränken; die Musik mußte einerseits auch für ein Publikum mit wenig oder gar keiner Jazz-Erfahrung zugänglich bleiben, außerdem mußten die einzelnen Tracks in oft unter zwei Minuten auf den Punkt kommen. In der halben Stunde Spielzeit dieses Albums, in denen man sich bei anderen Washington-Produktionen etwa in der Mitte des zweiten Tracks befindet, haben ganze 15 Stücke Platz. Das gerät keineswegs zum Nachteil: So spannend Washingtons sonst so raumgreifende Exkursionen sind, so viel Freude macht es, ihn hier zur Abwechslung mal maximal konzise zu hören. Man denkt dabei an die Musiker der 78er-Ära, die auch in maximal drei Minuten alles gesagt haben mußten, was den Aufnahmen eine heute noch wahrnehmbare extreme Dichte verlieh. Und was die Zugänglichkeit betrifft, so zeigt sich der Saxophonist hier von seiner melodischsten Seite. Daß er bei seiner Pop-Annäherung jede Banalität vermeidet, darf vorausgesetzt werden; die Eleganz von Stücken wie „The Rhythm Changes“ ist dennoch nicht selbstverständlich. Ein Nebenwerk ist dieses Album jedenfalls nicht, kann man einen der außergewöhnlichsten Jazzmusiker der Gegenwart hier doch von einer ganz anderen Seite erleben! (2020)