Der englische Begriff „cutting edge“ bedeutet zwar wörtlich erstmal „Schnittkante“, im übertragenen Sinne aber auch „Vorreiterrolle“ oder gar „Spitzenposition“. Auf das Dylansche Werk bezogen, ist dies natürlich die „Kante“ zwischen akustischer und elektrischer Phase; die Zeit zwischen Januar 1965 und Herbst 1966, in der Dylan sich von den Erwartungshaltungen der Folk-Gemeinde emanzipierte und zu einem der bedeutendsten Musiker der Dekade wurde. Die ist hier so hervorragend wie spannend dokumentiert, anhand von fast durchweg unveröffentlichten Outtakes aus den Sessions zu den drei aufeinanderfolgenden Schlüssel-LPs jener Ära, „Bringing It All Back Home“, „Highway 61 Revisited“ und „Blonde On Blonde“. Daß die Vinyl-Version nur ein Derivat der 8 CD-Box ist, ist für Komplettisten gewiß ärgerlich – allerdings ist anzumerken, daß jene mit oft vier, im Falle des Über-Songs „Like A Rolling Stone“ gar 20 Takes hintereinander wohl nur für den harten religiösen Kern der Anhängerschaft ernsthaft durchhörbar ist. Wohingegen man diese 36 klug ausgewählten Aufnahmen sicherlich nicht nur einmal auf den Teller legen wird. Davon abgesehen, daß sich hier etliche Songs finden, die es nicht auf die besagten Meisterwerke schafften, sind die Alternativversionen der berühmten Songs (gleich, ob elektrisch und mit voller Band-Besetzung oder als akustisches Demo) zwar nicht besser als die endgültig ausgewählten – aber man spürt durchweg die Elektrizität dieser Umbruch-Zeit, in der Dylan definierte, was das (bis dato) Teenager-Phänomen Rockmusik sein konnte. Die Atmosphäre, die damals im Studio geherrscht hat, zieht einen unweigerlich in ihren Bann – man muß kein Hardcore-Fan dafür sein… – Begleitet wird die Sammlung von einem immerhin 56seitigen Hochglanz-Booklet, einige sehr gute Essays zum Thema, vor allem aber wirklich sagenhaftes Fotomaterial enthaltend! (2015)