Rezension
Erst vier Wochen vor Veröffentlichung wurde diese überhaupt publik gemacht. Eine weit größere Überraschung aber gelang der Chris Martin-Band auf inhaltlicher Ebene: Das in die zwei Hälften „Sunrise“ und „Sunset“ unterteilte echte Doppel-Album im klassischen Sinne ist ein echter Schnitt in der Diskographie. Waren die letzten Alben von optimistischem, hochprofessionalisiertem Stadion-Pop geprägt, so scheinen Coldplay dieses Kapitel abgeschlossen zu haben. „Everyday Life“ ist aber auch keine Rückkehr zum Frühwerk, sondern ein sehr großer Schritt nach vorne – das mit Abstand experimentierfreudigste Werk der Band bisher, dabei dennoch voller großer Chris Martin-Melodien. Vor allem (aber nicht nur) arbeitete die Band hier mit arabischen Musikern zusammen, unter anderem ist dieses (überhaupt erstaunlich politisch explizite) Album ein Aufruf zur Völkerverständigung: Am Veröffentlichungstag wurde es in Form zweier Konzerte (eines frühmorgens, eines abends) im jordanischen Amman uraufgeführt. Die Texte iranischer und pakistanischer Dichter werden eingeblendet, Femi Kuti hat ebenso einen Gastauftritt wie ein nigerianischer Kirchenchor. Rudimentärer Folk und Studioperfektionismus stehen einträchtig nebeneinander. Das Gesamtbild ist vielfältig, es gibt durchaus auch Risse und Bruchstellen darin, die es aber nicht stören, sondern reizvoller machen. Mit einem Werk dieser Größenordnung hatte von dieser Band wohl kaum noch jemand gerechnet. Vielleicht das beste Coldplay-Album überhaupt, mindestens seit „A Rush Of Blood To The Head“, und auf jeden Fall das spannendste. Schön, daß man diese Band wieder lieben darf. (2019)