Manche Bands bringen nach jeder größeren Tour ein weiteres, meist überflüssiges Live-Album auf den Markt. Tom Waits, einer der größten Performer überhaupt, hatte über 20 Jahre verstreichen lassen seit seinem letzten („Big Time“, 1988). Dabei wäre da angesichts seltener Tourneen und (leider) schmerzhaft hoher Eintrittspreise eine höhere Frequenz durchaus angemessen. Dafür ist „Glitter & Doom“ nun aber auch ein ganz besonders gutes – sein bestes bisher – Zeugnis seiner unglaublichen Bühnenpräsenz. Zwar aus vielen amerikanischen und europäischen Shows der 2008er Welt-Tour zusammengestellt, doch so ausgezeichnet editiert, daß man dem Eindruck einer besonders guten Waits-Nacht schon sehr nahe kommt. Und das, obwohl der Zeremonienmeister fast gänzlich auf gute alte Bekannte verzichtete und das Repertoire in der Hauptsache aus Alben der letzten 10 Jahre besteht; einige kommen auch aus der „Orphans“-Box, jener 2007 erschienenen großen Raritätensammlung. Doch man vermißt sie nicht, die Hits – das Programm überzeugt durch und durch, und selten wurde einem dieses Waitssche Paradoxon so deutlich vor Augen geführt: Daß sich in seinem Werk die Avantgarde und die uralte Tradition stets berühren. Waits‘ Welt ist eine ohne Facebook, iTunes und eBay (das er in der Schlußnummer „Lucky Day“ so treffend besingt), eine archaische – der Mann ist im Herzen konservativ. Doch gleichzeitig klingt er auch mit 60 radikaler als manch ein junger Elektroniker. Ein Erlebnis! (2009/2017)