Joanna Newsom

Have One On Me

Label/AN:  Drag City, DC390
Format:  3 LP, Box

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Rezension

Wieviele (echte!) Dreifach-LPs kennen Sie, die nicht durch Kürzung gewonnen hätten…? Man braucht kaum eine Hand für 6o Jahre Popgeschichte. Doch in den gut zwei Stunden Musik auf Joanna Newsoms drittem Album ist tatsächlich keine Note überflüssig. Es ist dabei weniger erstaunlich, daß sie die eigene Meisterleistung des 2006er Werkes „Ys“ übertrifft, sondern, mit welcher Selbstverständlichkeit sie dies tut: Wie sie uns hier als gereifte Künstlerpersönlichkeit entgegentritt, die sich beliebig in der ganzen Musikgeschichte bedienen kann, um aus den vorgefundenen Elementen Neues, ja Unglaubliches zu erschaffen. Die üppigen Arrangements von „Ys“ hat sie dazu zurückgefahren; die Songs auf „Have One On Me“ sind vergleichsweise schlank, aber sie haben es in sich. Man hört Renaissancemusik, amerikanische Komponisten des 20. Jahrhunderts (Copland etwa), man hört asiatische Pentatonik (allerdings außerordentlich kunstvoll mit westlicher Musik verwoben), keltischen Folk, und natürlich hört man auch Joni Mitchell: Die Grand Dame des Laurel Canyon kann für eine Persönlichkeit wie Newsom nur Inspiration sein. (Viel mehr freilich auch nicht, denn Newsom bewegt sich stilistisch in ihrem ganz eigenen Universum.) Die Songs schlagen Haken, wechseln Rhythmik und Tonalität, doch man klebt an den Lippen der Sängerin, die übrigens auch als solche gereift ist: Das gewöhnungsbedürftige Kieksen des 2004er Debüts ist gänzlich verschwunden, Newsom hat ihre Stimme als Instrument entdeckt und extrem verfeinert. In ihrem Gesang steckt nun eine Welt von Zwischentönen. Wie sie die Harfe einsetzt, ist ohnedies einzigartig in der Popmusik. So ist dieses Album also schon allein in musikalischer Hinsicht eine kaum zu (er)fassende Leistung; doch muß natürlich auch die Dichterin, die Erzählerin Joanna Newsom gewürdigt werden, die vom alten Amerika singt, von den Sternen, die J.D. Salinger zitiert und von Lola Montez erzählt, und die ganz nüchtern vom Ende einer Beziehung berichten kann und dabei doch so klingt wie eine Märchenfee. Man kann diesem Album mit Worten kaum gerecht werden, es sei denn mit sehr vielen – jemand sollte ein Buch darüber schreiben. Es scheint nicht ganz unwahrscheinlich, daß das irgendwann geschehen könnte. (2010)

 

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