Rezension
Ihr zweites Album sollte ihr letztes bleiben: Der Entschluß, die komplette Produktion und die Arrangements in die eigenen Hände zu nehmen, erwies sich als für die Psyche der Musikerin fatal. Sill fehlte der musiktheoretische Background für diese Aufgaben; daß dem Ergebnis davon aber auch gar nichts anzuhören ist, zeigt ihr Genie. Die ungeheure Anstrengung jedoch hatte die labile Songwriterin zermürbt; am Ende der Arbeiten an „Heart Food“ war sie in ihre Heroinsucht zurückgefallen und hatte jede Ambition auf die Fortführung ihrer Musikkarriere aufgegeben. Man möchte das angesichts eines solchen Albums nicht glauben: Nichts an dieser Musik weist darauf hin. „Heart Food“ ist – wie schon das Debüt – eines der feinsten Werke des sogenannten Laurel Canyon-Sounds, lichtdurchflutet und warm. Ein Album, dem seine angemessene Würdigung erst Jahrzehnte später zuteil wurde. Für Sill selbst war es da freilich längst schon zu spät: Der Abgrund, in den sie sich fallen ließ, war dieses Mal zu tief. Es ist bezeichnend, daß selbst ein einst guter Freund wie Graham Nash dem falschen Gerücht von Sills Tod durch eine Heroin-Überdosis im Jahre 1974 ohne weiteres Glauben schenkte. Fünf Jahre später wurde es dann wahr. (1972/2017)