Rezension
Der Terminus “Klavierkonzerte” ist im Falle von Bach natürlich historisch falsch, da sie selbstverständlich fürs Cembalo komponiert waren; auf den beiden späteren Alben von 1967 und 1969 werden sie auch als “Keyboard Concertos” bezeichnet, ins Deutsche leider kaum sinnvoll übertragbar. Doch historische Genauigkeit darf man im Falle von Glenn Goulds Bachspiel ohnedies nicht anwenden. Was Gould bereits mit seinem Schallplattendebüt, der legendären 1955er Aufnahme der “Goldberg-Variationen” schuf, war ein vollkommen neues Bachverständnis. Von Mendelssohns Wiederaufführung der Matthäus-Passion über Liszts Transkriptionen bis zu Pablo Casals’ Aufnahme der Cellosuiten war zwar einiges geschehen, um Bachs Werk im Konzertrepertoire und kollektiven Gedächtnis lebendig zu halten, doch Goulds Behandlung der Bachschen Klaviermusik kam einer Revolution gleich. Befreit von allen Romantizismen, glasklar, die sagenhaftige Kontrapunktik extrem betonend und nachvollziehbar machend – gleichsam dennoch nicht emotionslos, sondern im Gegenteil den Hörer förmlich hypnotisierend: ein magischer Akt. Auf die Werke mit Orchester trifft das im selben Maße zu wie auf jene für Klavier solo. Seine Beinahe-Gesamtaufnahme (das sechste Konzert spielte er leider nie ein) der Klavierkonzerte erstreckt sich über einen Zeitraum von zwölf Jahren; die Einspielung der Nr. 1 (BWV 1052) war seine dritte LP überhaupt. Hier dirigierte Leonard Bernstein das handverlesene Columbia Symphony Orchestra; für alle späteren Aufnahmen arbeitete Gould dann mit dem französischen Dirigenten Vladimir Golschmann (seit 1931 vorwiegend in den USA aktiv), dessen enge Beziehung zur zeitgenössischen Musik in einem Bach-Bild resultierte, das Goulds eigenem wahrscheinlich recht nahe kam. Auf den beiden frühen Bach-Einspielungen (1957 und ’58) war jeweils ein Konzert mit einem von Beethoven gekoppelt (ebenfalls eine sehr Gouldsche, eigenwillige Idee); die des ersten findet sich nun auch in dieser Box. Auch hier ist Werktreue im historistischen Sinne unangebracht: Für Goulds Stimmführung und Tempowahl gibt es weder echte Vorbilder noch Nachahmer. Einen sehr besonderen Blick auf ein Standardwerk ebenso wie ein extrem emotionales Hörerlebnis bietet aber auch diese Aufnahme. – Die Speakers Corner-Ausgabe ist schon aufgrund des weiteren Schnitts der Doppel-LP, die Columbia Mitte der 80er auf den Markt brachte, überlegen; das Mehr an Raum in den Rillen schlägt sich unmittelbar im Klangbild nieder: Hier kann man nicht nur Gould summen (wie stets in seinen Aufnahmen), sondern auch die Musik selbst atmen hören. (2013, Pressung aktuell)