Rezension
1969 war das Roscoe Mitchell Art Ensemble, dem neben dem Saxophonisten (Sopran, Alt und Bass) noch Kollege Joseph Jarman (Sopran, Alt und Tenor), Trompeter Lester Bowie und Bassist Malachi Favors angehörten, nach Paris gezogen. Dort traf die seit zwei Jahren ohne Schlagzeuger auftretende Band auf den Ausnahme-Drummer Don Moye und benannte sich in Art Ensemble Of Chicago um. Zu den ersten in Europa aufgenommenen Alben zählt eines, das eigentlich eine Soundtrack-Arbeit werden sollte und das im All Music Guide ganz schlicht als „one of the greatest jazz albums ever“ bezeichnet wird. In Moshe Misrahis Film wurde die Musik dann doch nicht verwendet; vielleicht hatte der Regisseur berechtigte Bedenken, ob noch irgendjemand auf die Bilder achten würde. Allein die Eröffnungsnummer ist eine der aufregendsten Aufnahmen der Ära: Mit Sängerin (und Bowie-Ehefrau) Fontella Bass gelang mit „Theme de Yoyo“ eine Verschmelzung von Funk und Free Jazz, die den Hörer auch nach über einem halben Jahrhundert noch ziemlich geplättet zurückläßt. Was folgt, sind kaum weniger atemberaubende rhythmische wie melodische Abenteuer – und Passagen von nach diesem Einstieg kaum zu erwartender Lyrizität, so etwa die erste von zwei Variationen über Themen des Frühbarock-Komponisten Claudio Monteverdi. Das Ensemble erweist sich der Schöpfung sagenhafter Klangfarben als mächtig; die Kombination der drei Bläser führt zu immer neuen Eindrücken. Ein Album, das in seiner Innovationskraft wie seiner Schönheit und, keineswegs zuletzt, seinem Groove gleichermaßen fasziniert – und ja, man muß die oben zitierte AMG-Einschätzung unterschreiben. – Eine neue Vinyledition war überfällig! (1970/2023)