Rezension
Im Gospel verwurzelt war Archie Shepps Musik schon zu seinen wildesten Free Jazz-Zeiten; zu verdanken hat er diesen prägenden Einfluß seiner Großmutter Mama Rose, der er schon vor langer Zeit mit einem nach ihr benannten Album ein musikalisches Denkmal setzte. Nun veröffentlichte der legendäre Jazz-Erneuerer ein Gospelalbum, in Form so intimer wie spiritueller Dialoge mit dem fast vier Dekaden jüngeren Pianisten Jason Moran, in dem er schon vor einigen Jahren einen idealen Partner gefunden hatte. Aufgenommen wurden diese sechs Standards (plus eine Moran-Eigenkomposition) live, 2017 in Paris im Rahmen des Jazz à la Villette-Festivals und ein Jahr später in Mannheim bei seinem Enjoy Jazz-Auftritt. Nur zwei Titel sind „echte“ Spirituals („Sometimes I Feel Like A Motherless Child“ und „Go Down Moses“); zwei weitere stammen aus dem Ellington-Songbook („Isfahan“ und Billy Strayhorns wunderbares „Lush Life“), dazu kommen Thelonious Monks „Round Midnight“ und, über 13 magische Minuten zelebriert, John Coltranes „Wise One“. Allen Stücken gemein ist die ungeheure Intensität – man muß keiner Religionsgemeinschaft angehören, um unmittelbar davon berührt zu werden. Und nachgerade erschütternd ist die Aktualität dieser Musik in Zeiten, in denen eine Bewegung wie „Black Lives Matter“ immer noch notwendig ist, weil sich an der Benachteiligung, am Leid der schwarzen Bevölkerung immer noch viel zu wenig geändert hat. Shepp singt (auf seinem Instrument, gelegentlich auch mit seiner Stimme!) ein unmißverständliches Lied davon. (2021)