Rezension

Wie unglaublich gut die fünf ausverkauften Konzerte vom Januar 1972 in Tokyo waren, davon bekamen westliche Hörer auf der zweiten Seite von „I See The Body Electric“ immerhin eine Ahnung – wobei die Tracks stark nachbearbeitet worden waren und dabei, bei aller Klasse, zumindest teilweise ihrer Unmittelbarkeit beraubt. Das sagenhafte Doppelalbum, auf dem nicht nur die Improvisationsfreude des spektakulären Quintetts aus Wayne Shorter, Joe Zawinul, Miroslav Vitous, Eric Gravatt und Dom Um Ramão, sondern auch viel von der Konzertatmosphäre transportiert wird, erschien – wiewohl lange das einzige offizielle Live-Zeugnis der Band – nur in Japan; tatsächlich ist dies die erste europäische Vinylausgabe. Die stilistische Bandbreite ist immer wieder frappierend, von lyrischen Solo-Momenten Zawinuls am Klavier bis zu wildem Funk-Jazz und radikal-freien Improvisationen, mit allen denkbaren Schattierungen dazwischen. Unter all den explosiven Begegnungen zwischen Jazz und Rock jener Jahre ist dies eine, bei der die Reaktion am stärksten ausfiel. Wer sich für Fusion (wie immer man den Begriff definieren mag) auch nur annähernd interessiert, sollte diese Live-Sternstunde unbedingt kennen. Und man darf auch getrost davon ausgehen, daß man in Japan anno ’72 sehr gut wußte, wie man eine solche Livesituation verlustfrei auf Tonband fixiert! (1972/2019)