Rezension
Wieder einmal ließ der im klassischen Konzertsaal ebenso wie im Jazzclub beheimatete Pianist Friedrich Gulda keinen Zweifel daran, daß Klassik und Jazz für ihn nicht zu trennen waren, als er am 21. Mai 1988 in der Kölner Philharmonie die um eine improvisierte Einleitung erweiterten Brahmsschen „Haydn-Variationen“ zur Aufführung brachte. Mit dabei war sein guter Freund, Klavierkollege und Mitwiener Joe Zawinul, der zwar als klassischer Pianist sonst nicht auftrat, aber von Ausbildung und Können her natürlich absolut dazu befähigt war. Eine äußerst spannende, niemals „gewollt“ verjazzte Brahms-Interpretation brachten die beiden da auf zwei Klavieren zu Gehör; historisch legitimiert ja schon allein dadurch, daß Johannes Brahms seinem Werk das Thema eines Haydn-Divertimentos zugrunde legte; Haydn wiederum (dessen Urheberschaft allerdings nicht gesichert ist) griff auf ein altes Kirchenlied zurück – warum also nicht die Schraube im 20. Jahrhundert ein Stück weiter drehen? Die beiden Stücke auf der B-Seite dieser formidablen LP stammen vom Vorabend, den die beiden im Rahmen eines von Gulda initiierten Festivals ebenfalls bestritten hatten: Guldas eigene teils auskomponierten, teils improvisierten „Variations For 2 Pianos And Band“ mit der WDR Big Band unter der Leitung von Jerry van Rooyen bringt herrlich Wiener Walzer-Tradition mit Big Band-Swing und Modern Jazz zusammen; Zawinuls „Volcano For Hire“ schließt den Kreis als freie Jazz-Improvisation! Beide Abende wurden selbstverständlich in der exquisiten Qualität mitgeschnitten, die im bundesdeutschen Rundfunk damals Standard war… (2012)