Rezension
Daß der schottische Cellist und Komponist weder musikalische Grenzen kennt noch den üblichen Wegen folgt, ist bekannt, spätestens seit seiner aufsehenerregenden Bearbeitung der Bachschen Cellosuiten. Auf seinem fünften eigenen Album (Soundtrackarbeiten nicht mitgerechnet) erstaunt er dennoch mit einem ganz besonderen Experiment: Dem Entfernen der Melodie. Die neun Kompositionen hier bestehen aus Harmonien, Kontrapunkten und unterstützenden Klangflächen zu etwas, was nicht da ist. Man spürt aber, daß es da war, vielleicht sogar eben gerade noch. Das Gefühl ist vielleicht vergleichbar mit dem Fehlen von Menschen, deren stete Gegenwart man gewohnt war und deren Aura (nennen wir es ruhig so) doch noch im Raum zu schweben scheint. Der „zweiten Stimme“, die Gregson auf seinem Cello spielt, scheint der Verlust bewußt zu sein; der Eindruck der Einsamkeit wird noch dadurch verstärkt, daß das Instrument direkt am Ohr des Musikers mikrophoniert wurde: Man soll es nicht wie im Konzert auf einer Bühne im Raum hören, sondern direkt die Hörerfahrung des isolierten, ausführenden Musikers teilen. Die Schatten der „verlorenen“ Melodien meint man immer wieder aus den Augenwinkeln zu erhaschen, greifbar sind sie freilich nicht. Ein musikalisches Erlebnis sehr eigener und besonderer Art. Es geht eine starke Sogwirkung von dieser „unvollständigen“ Musik aus, und sie geht auch nicht an einem vorüber, ohne Spuren zu hinterlassen. (2021)