Rezension
Die Rundfunkmitschnitte aus den dunkelsten Jahren deutscher Geschichte gelten zu Recht als das bedeutendste Vermächtnis jenes Dirigenten, der seine geliebte Heimat nicht verlassen konnte und wollte, um ihr nicht den letzten Rest ihres kulturellen Erbes zu nehmen. Die meisten dieser Aufnahmen – die bewegte Geschichte der Original-Tondokumente ist im der Edition beiliegenden Buch dokumentiert – sind Furtwängler-Sammlern bekannt, sie erschienen entweder bei der Deutschen Grammophon, auf dem russischen Staatslabel Melodiya, auf Veröffentlichungen der französischen Furtwängler-Gesellschaft und kleineren Spezialisten-Labels. Den kaum überschätzbaren Repertoirewert der Box macht die klangliche Restauration aus. Vorweg: Natürlich ist da digitale Technik im Spiel. Aber von ästhetischen Verbrechen, wie sie von den 1960ern bis in die 80er immer wieder begangen wurden, könnte dies nicht weiter entfernt sein! Hier wurde mit größter Sensibilität vorgegangen, das Ziel war nicht, historischen Rundfunk-Aufnahmen Hifi-Qualitäten anzuhexen, die es damals einfach noch nicht gab, sondern die Originalquellen so gut hörbar wie möglich zu machen: Aggressive Verzerrungen und mechanische Störgeräusche zu eliminieren, auch, einen sehr behutsamen Stereo-Effekt zu suggerieren (noch einmal: Dies hat nichts mit der künstlichen Total-Kanaltrennung früherer diesbezüglicher Versuche zu tun!). Heute kann man das, ohne den Original-Klangcharakter zu beschädigen, und hier ist es auf vorbildliche Art und Weise geschehen. Unter diesem Aspekt ist die Edition recht eigentlich sogar „audiophil“ zu nennen, im Sinne eines bestmöglichen Ergebnisses. Daß es sich bei dieser Vinylausgabe nur um eine Auswahl handelt, ist angesichts der 22 SACDs umfassenden Gesamtausgabe wohl nachvollziehbar; vielleicht kommen ja eines Tages weitere Teile heraus. Für die vorliegende Box wurde eine möglichst repräsentative Auswahl vorgenommen: Händels „Concerto Grosso“ Op. 6 Nr. 10, mehrfach Richard Strauss (darunter vier Orchester-Lieder mit dem großen Peter Anders als Solisten), Wagner, Weber, Schubert (eine sagenhafe „Unvollendete“). Furtwänglers Idol Beethoven wird allerdings nicht durch Symphonien, sondern durch die „Coriolan“-Ouvertüre repräsentiert – und das Violinkonzert, mit einer fabelhaften Leistung des damaligen Konzertmeisters der Berliner, Erich Röhn. Ein besonderes Glanzlicht ist auch das Schumann-Cellokonzert mit Tibor de Machula, höchst erfreulich ist die Einbeziehung für Furtwängler eher ungewöhnlichen Repertoires wie Sibelius‘ „En saga“ und Ravels „Daphnis et Chloé“-Suiten! – Neben dem bereits erwähnten 112seitigen Hardcover-Buch liegt der Edition eine DVD bei, darauf ein Film-Interview mit Original-Tonmeister Friedrich Schnapp, außerdem ein Gutschein für den HD-Download des gesamten Programms der CD-Edition! 1886 numerierte Exemplare wurden gefertigt. (2022)