Rezension
Mehrfach ging Ignaz Jan Paderewski (1860-1941) in die Geschichte ein: Zunächst als einer der bedeutendsten Pianisten des späten 19. Jahrhunderts, dann als erster Premierminister des unabhängigen Polens (1919), schließlich als Führung des polnischen Exilparlaments in London ab 1939. Wenig bekannt (außerhalb seines Heimatlandes) ist immer noch sein kompositorisches Œuvre. Als sein Hauptwerk darf man wohl die zwischen 1903 und 1908 geschriebene, 1909 dann uraufgeführte große Symphonie in H-Moll bezeichnen. Daß sie späterhin kaum aufgeführt wurde, liegt zum Teil sicher auch an der Instrumentierung, die unter anderem gleich drei Kontrabass-Sarrusophone verlangt (eine Art Kreuzung aus Fagott und Saxophon, die sich letztlich nicht durchsetzen konnte) und ein von Paderewski selbst entwickeltes Perkussions-Instrument, eine Art Donner-Maschine. Diese Exoten führen allerdings auf eine falsche Fährte, denn das der Geschichte, Gegenwart und Zukunft Polens gewidmete Werk ist weit mehr als „Effektkino“, sondern ein spätromantisches Meisterwerk, das der näheren Beschäftigung mit ihm unbedingt wert ist. Eine Einschätzung, die sich erst in den letzten 20 Jahren mehr und mehr durchsetzte; zuvor gab es kaum vollständige Aufnahmen; erst recht keine, die dem hohen Anspruch der Komposition gerecht wurden. Der polnische Dirigent Boguszweski hat mit der Staatsphilharmonie Lviv (die heute in der Westukraine liegende Stadt, polnisch Lwów oder deutsch Lemberg, hat eine lange polnische Geschichte) nun eine Aufnahme vorgelegt, der man bis auf Weiteres wohl Referenzstatus attestieren kann; und die hoffentlich dazu beiträgt, dieser außergewöhnlichen, so melodisch reichen wie genialisch instrumentierten Symphonie den ihm gebührenden Platz zwischen den Großwerken der Spätromantik von Strauß über Elgar bis Sibelius doch noch zu verschaffen. (2021)