Rezension
Kaltes, klares Wasser. So charakterisierte Jean Sibelius seine Musik selbst. Was zunächst erstaunt ob der Klangfülle seiner Symphonik. Jahrzehntelang, vielfach noch heute, wird der große Finne als zu spät gekommener Romantiker mißverstanden, doch suchte er vielmehr nach einem Ausweg aus der Romantik, lotete dabei mutig die Grenzen der Tonalität aus – ohne ganz mit ihr brechen zu wollen, wie es die Vertreter der sogenannten klassischen Moderne taten. Die einzigartige Klangsprache, die dabei entstand, fand sich selten so schlüssig dargestellt wie hier. Simon Rattle hatte Sibelius‘ Symphonien schon einmal aufgenommen, zu Beginn seiner Karriere. Damals schon fiel sein analytischer Blick auf die Partituren auf, doch wurde der grundsätzlich sehr spannende Ansatz nicht ganz zu Unrecht dafür kritisiert, daß die Emotionen zu kurz kämen – denn Sibelius‘ Musik ist hochemotional und dramatisch, was zu dem eingangs erwähnten Diktum keineswegs in Widerspruch steht. Mit dem Aufführungszyklus zum Sibelius-Jahr 2015 (der 150. Geburtstag des Komponisten) hat Rattle ein Ideal erreicht: Durchsichtig und klar wie das Wasser eines Gebirgsbaches, und doch kommt man diesmal nicht nur der Musik ungleich näher, sondern auch dem Menschen Sibelius. Besonders herausragend sind die erste und die vierte Symphonie; im Falle der ersten stellt schon das einleitende Klarinettensolo unmißverständlich klar, daß man es mit einer Ausnahme-Einspielung zu tun hat. Die tatsächlich so faszinierend ist, daß man sie am Stück durchhören möchte (die dafür notwendige Zeit vorausgesetzt). Daß die Tonqualität der Eigenproduktionen des Orchesters durchweg hervorragend ist, dürfte inzwischen bekannt sein – wie gut hier nicht nur jedes Orchesterdetail eingefangen ist (bei hervorragender tonaler Balance!), sondern auch die Raumakustik der Philharmonie, ist dennoch immer wieder begeisternd. Ein Glücksfall, daß man sich nun doch für eine Vinylausgabe entschieden hat – die wie die bisherigen Boxen sehr aufwendig editiert ist. Der finnische Fotograph Jorma Puranen gestaltete wunderschöne Cover für die sieben LPs, das begleitende Hardcover-Buch enthält viele Erläuterungen und Informationen zu Werk und Aufführung. Die Edition ist auf 2000 numerierte Exemplare limitiert; inbegriffen ist ein Gutschein für Hochbit-Download und eine einwöchige Mitgliedschaft der „Digital Concert Hall“. – Noch ein Kuriosum am Rande: In ihrer langen Geschichte haben die Berliner Philharmoniker (trotz Sibelius-Bewunderer Herbert von Karajan) die dritte Symphonie niemals aufgenommen oder aufgeführt. Die hier enthaltene Aufnahme derselben war also eine echte Premiere – fast 110 Jahre nach Uraufführung des Werkes! (2015/2019)