Rezension
Im Jahre 1967 nannte T.A. McEwen, Klassik-Manager bei Decca-London, drei Künstler, denen gegenüber seine Firma eine “moralische Verpflichtung” habe: Ernest Ansermet, Renata Tebaldi und Mantovani. Vielleicht hätten andere heute ebenfalls Anspruch auf einen Platz in dieser Liste. Es ist jedoch kaum zu leugnen, daß gerade die drei genannten in den frühen Tagen der Decca Record Company wie niemand sonst nicht nur zu derer Marktposition, sondern vor allem zu ihrer musikalischen Identität beigetragen haben.Annunzio Mantovani, 1905 im traditionell musikalischen Venedig geboren, stand bereits mit 23 Jahren dem hauseigenen Tanzorchester des Londoner Hotel Metropole vor, mit dem auch seine ersten Schallplattenaufnahmen entstanden. Sein Aufstieg zum Weltstar erfolgte jedoch erst zwei Jahrzehnte später; der endgültige Durchbruch des “Mantovani Sound” war der 1951 erschienene, für den amerikanischen Markt produzierte Walzer “Charmaine”. Jener Sound unterschied sich grundsätzlich von allem, was bisherige Unterhaltungsorchester geboten hatten. Mantovanis Idee war ein Geigenklang, der so intensiv war, daß kritische Ohren Trickaufnahmen vermuteten, eine Annahme, die Mantovani auf seinen zahlreichen Konzerten freilich leicht widerlegen konnte. Das Album The American Scene zeigt das ganze Spektrum eines der genialsten Arrangeure des Jahrhunderts: “I Dream of Jeanny” steht beispielhaft für die wahrhaft unglaublichen Streicher, als Gegengewicht stehen Titel wie das sprühende “Camptown Races”. Die Bearbeitung von Folksongs für großes Orchester birgt die Gefahr der Belanglosigkeit, Mantovani jedoch erliegt ihr nicht: Zu faszinierend ist die “Wall of Sound”, die er sein Orchester aufbauen läßt. Ein kanadischer Kritiker schrieb einst treffend: “Wenn letzte Nacht in den Augen von 10.000 Menschen Sterne leuchteten, so lag es an Mantovani!” Besser läßt sich diese Musik nicht charakterisieren. (60/96)