Rezension
Das Konzert mit einem Zugaben-Klassiker zu beginnen, nämlich Rachmaninoffs G-Moll-Präludium, sieht zunächst nach Wasser auf die Mühlen ihrer Kritiker aus. Wer allerdings angesichts dessen, was dann mit dem oft gespielten Stück geschieht, noch weiter mäkelt, macht sich unglaubwürdig. Denn die Aufnahmen, in denen es auf derart faszinierende Art dramaturgisch durchgestaltet wurde, kann man vermutlich doch an einer Hand abzählen. Der Einstieg in diesen Berliner Konzertabend vom Juni 2018 ist also schon einmal geglückt, und der Ersteindruck wird bestätigt. Sie bleibt noch eine Weile bei Rachmaninoff, besonders beeindruckend ist die tiefe Nachdenklichkeit in op. 33 Nr. 3 (Études-Tableaux). Die dann folgende zehnte Scriabin-Sonate braucht einen Vergleich selbst mit Horowitz nicht zu scheuen: Mal scheint sie die Tasten nur anzuhauchen, mal löst sie ein veritables Erdbeben aus; beide Extreme dienen (wie tatsächlich alles an ihrem Spiel) stets dem Werk. Ein besonderes Highlight sind die drei anschließenden Ligeti-Etüden, denen man ja nicht eben täglich im Konzertsaal begegnet. Hier ist ein Höchstmaß nicht nur an Technik, sondern vor allem an Verständnis gefordert. Wangs Gestaltung ist an Spannung nur schwerlich zu überbieten, man klebt sozusagen an ihren Händen… Daß sie stets das Werk als Ganzes sieht, kann man spätestens an der achten Prokofieff-Sonate erkennen, denn das Werk läßt sich anders nicht zum Leben erwecken. Richters 1962er Aufnahme ist da wohl bis heute das Maß aller Dinge, aber Wang kommt – mit durchaus eigenen Gedanken zur Musik – doch sehr nahe heran; der donnernde Applaus am Ende ist voll und ganz berechtigt. Die Vinyl-Erstausgabe enthält erstmals auf physischem Tonträger übrigens auch den Zugabenblock! Darunter etwa die Earl Wild-Bearbeitung des „Tanzes der vier kleinen Schwäne“ aus „Schwanensee“: Eine Nichtigkeit nur im Vergleich zum Vorangegangenen, aber doch eine wahre Delikatesse… (2023)