Den Schweizer Andreas Schaerer als „Sänger“ zu bezeichnen, würde der Sache wohl kaum gerecht werden, und selbst der Ausdruck „Vokalkünstler“ gibt nur eine vage Vorstellung von dem, was Schaerer mit seiner Stimme zu vollbringen vermag. Es gibt wohl nicht viele Geräusche, die dieser Mann nicht irgendwie zu reproduzieren wüßte. Die Konzerte, die er etwa mit seinem Sextett Hildegard Lernt Fliegen gibt (längst weltweit), sind atemberaubende Spektakel – was nicht etwa dem Novelty-Faktor (der nur anfangs eine Rolle spielt) zu verdanken ist, sondern der Tatsache, daß Schaerer seine sagenhaften Fähigkeiten nutzt, um den Hörer auf immer neue, immer wildere Abenteuerreisen in nie gesehene Länder mitzunehmen. Hier irrwitziger und faszinierender denn je, nämlich buchstäblich in symphonischem Rahmen: Nach gut einjähriger Vorbereitung trat Schaerer mit seiner Band auf dem Lucerne Festival 2016 auf, gemeinsam mit dem Orchester des Festivals unter der Leitung von Mario Chiacchiarini. Was man in diesen sechs Stücken zwischen fünfeinhalb und knapp 13 Minuten Länge alles erlebt, geht auf keine Kuhhaut: Das ist große Oper (wobei Schaerer das ganze Ensemble gibt, vom Bariton bis zum Koloratursopran), das ist Jazz in allen Facetten, das ist Prog Rock von einer Komplexität, die selbst einen Robert Fripp beeindrucken müßte. Zwischendrin ziehen dann auch noch die Volksmusiken der verschiedensten Kulturen vorbei, vom Schweizer Jodeln über Balkan-Blaskapellen bis zu indonesischen Gamelan-Klängen. Vielleicht braucht man etwas, um in Schaerers Wunderland-Universum hereinzukommen – aber wer erst mal drin ist, wird aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. (2017)