Rezension

Inzwischen sind die Prognosen günstig, aber als Joe Henry Anfang 2019 seine Krebsdiagnose erhielt, war alles möglich. Henry reagierte wie wohl jeder, der derart brüsk mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert wird, zunächst geschockt – doch dann folgte ein Kreativitätsschub. In kürzester Zeit schrieb Henry ein ganzes Bündel neuer Songs, die er dann mit minimalen Mitteln binnen zweier Tage im Heimstudio eines Freundes aufnahm. Die Songs sind sparsam arrangiert, dabei doch kunstvoll – wunderbar die Saxophon- und Klarinettenbeiträge von Sohn Levon Henry; Freund Patrick Warren setzt sensible Klavierakzente. Henry, der als Produzent mindestens so bekannt ist wie als Musiker, gelang es, ein der Unmittelbarkeit dieser Songs entsprechendes Klangbild zu erschaffen; man denkt oft an frühe Ry Cooder-Alben oder den ganz jungen Tom Waits. Vergänglichkeit ist gar nicht so sehr das Thema dieser Songs – sondern das Leben, die Liebe, die Hoffnung. Das freilich in seltener Intensität. Man spürt, wie viel Henry in den Monaten der Ungewissheit über das Leben und seinen Wert gelernt hat. Henry hat einige Meisterwerke in seiner Diskographie, schwache Alben eher nicht. Dies hier mag nicht sein „bestes“ sein – aber wohl jenes, das am meisten berührt. (2019)