Rezension
Weil die (meisten) Stücke ungefähr 300 Jahre alt sind, auch weil die Vokalsolisten offensichtlich entsprechend ausgebildet sind, ist dies wohl offiziell eine Klassik-Veröffentlichung. Aber (man kann es kaum anders formulieren): Das rockt! Aufgepropfte Modernismen braucht das Ensemble um den norwegischen Geiger Bjarte Eike (in dessen Diskographie man auch exzellente Bach-Interpretationen findet) dazu nicht. Als unter dem lustfeindlichen Regime Oliver Cromwells in England die Theater geschlossen wurden, wanderte die Musik, auch die artifizielle, in den Underground ab, die Aufführungen fanden in den Tavernen und Bordellen statt, auf den „Setlists“ der Musiker stand Purcell neben Folksongs und Sea-Shantys. Und genau diesen Geist erwecken Eike und seine Band zu neuem Leben. Mit ihrer Hingabe an das Material blasen sie den Staub von Jahrhunderten von der Musik; man spürt denselben revolutionären Spirit, den man auf frühen Rock’n’Roll- oder (ja!) Punk-LPs erleben kann. Erstaunlich dabei ist, mit welcher Sensibilität sie dabei vorgehen; wie schon bemerkt, geht es hier nicht um Modernisierung. Sondern um Authentizität. Und die Atmosphäre, die Eikes Barokksolistene hier kreieren, kommt der in einem Londoner Geheim-Theater der 1650er vermutlich sehr nahe. Nur das lärmende Publikum muß man sich dazudenken. (2023)