Rezension
Biedermann Böhm? Das Vorurteil gegenüber dem Dirigenten, dessen Perfektionismus und Strenge ihm bei Musikern den Spitznamen „Herr Doktor“ eintrug, scheint nicht auszumerzen zu sein – dabei gibt es doch reichlich Gegenbeispiele in seiner reichen Diskographie. Mit dieser Wiederentdeckung aus dem Archiv des Berliner Rundfunks noch ein (bzw. zwei) besonders schwerwiegendes! Nämlich zum einen eine Brahms-„Vierte“ mit fürwahr überwältigend ausgearbeiteten Melodiebögen, die den hier 68jährigen als großen Romantiker ausweisen. Eine Aufnahme, die man unbedingt neben die bedeutendsten Brahms-Aufnahmen jener Ära (und was gab es da für welche, Walter und Szell seien mindestens erwähnt!) zu stellen hat: Vom ersten Takt an wird man da buchstäblich in die Partitur gesogen! Bekannt ist Böhms enge Freundschaft zu Richard Strauss bis zu dessen Tod im Jahre 1949; bei der Aufnahme von dessen „Tod und Verklärung“ also handelt es sich quasi um ein „Heimspiel“ – und auch hier erleben wir eine nachgerade gewaltige Emotionalität, zutiefst bewegend. Die phantastische Klangqualität der Aufnahme aus dem Großen Sendesaal im Haus des Rundfunks trägt ein Übriges zur Bedeutung dieses Archivschatzes bei, zumal man – so ungewöhnlich wie weitsichtig – die im Rundfunk noch unübliche junge Stereo-Technologie anwandte (es gab ja kaum Wiedergabegeräte dafür!). Kevin Gray besorgte den großzügigen (die Brahms-Symphonie ist auf drei LP-Seiten verteilt!) Vinylschnitt. – Die Erstauflage ist auf 2000 numerierte Exemplare limitiert. (2024)