Rezension
Die Zeit, in der das romantische Jahrhundert in die Moderne überging, faszinierte die kanadische Sängerin und Dirigentin schon immer besonders, und natürlich war das in musikalischer Hinsicht nirgendwo spürbarer und spannender als in Wien. Die Hauptprotagonisten, Arnold Schönberg, Anton Webern und Alban Berg, sind selbstverständlich auf dieser zauberhaften Liedersammlung auch vertreten – mit Frühwerken, die die Suche nach neuen Wegen schon verraten, aber durchaus noch weit entfernt sind vom Bruch mit der Tonalität. Am weitesten sind wohl die „Fünf Lieder nach Gedichten von Richard Dehmel“ von Anton Webern, doch auch dieser noch vor dessen offiziellem Opus 1 entstandene Zyklus atmet noch den Geist der (Spät)romantik… Alexander von Zemlinsky, Alma Mahler und Hugo Wolf sind die Komponisten der zweiten Hälfte dieses außergewöhnlichen Liederabends; Letzterer als Brücke in die Hochromantik – wobei auch die Musik des im Jahre 1903 nach langer Krankheit mit 43 Jahren gestorbenen Wolf in die Moderne weist; zu gerne wüßte man, wie dieser geniale Mensch auf die neuen Wege der Folgegeneration reagiert hätte. Mit bemerkenswertem Einfühlungsvermögen singt Hannigan (deren Lieblingsrolle bezeichnenderweise Alban Bergs Lulu ist) diese Lieder, macht sie zu intimen Miniaturopern, zu denen de Leeuw, einst durch seine Satie-Interpretationen zur Klavierlegende geworden, mit stupender Subtilität die Bühnenbilder gestaltet. Die Delikatesse seines Anschlags trägt viel dazu bei, daß der spezifische Geist jener Epoche hier so lebendig scheint: Das Bewußtsein, zwischen Altem und Neuem zu leben, die Unsicherheit und die Faszination. Und das drohende Unheil, das die alte Weltordnung denn auch bald in einer bis dato beispiellosen Welle aus Tod und Zerstörung beenden würde. Eine Sternstunde des Kunstlieds, für deren hochwertige Vinylausgabe man eigentlich ein Dankschreiben an das französische Alpha-Label schicken müßte. (2019)