Rezension
Es gibt mindestens zwei Gründe, warum man diese weitere Beethoven-Aufnahme nicht nur braucht, sondern man sogar von einer Sensation sprechen muß. Erstens: Intensive Konzert-Touristen kennen Veronika Eberle als eine der großen Geigerinnen der letzten 20 Jahre, sie ist auf den internationalen Konzert- und Festivalbühnen zu Hause. Wer sich aber nur über Tonträger informiert, an dem ist sie womöglich ganz vorbeigegangen, denn sie zählt offenbar zu den seltenen Künstlerpersönlichkeiten, die die aufgezeichnete Musik ablehnen – es gibt einige wenige Kammermusik-Produktionen, aber bislang kein einziges Zeugnis von ihr als Solistin. Schon daher also war die Veröffentlichung dieses 2022er Livemitschnitts vor zwei Jahren von größter Bedeutung. Der zweite Grund liegt in den gespielten Kadenzen – denn die sind neu und außergewöhnlich. Sie stammen von dem deutschen Komponisten Jörg Widmann, und in ihnen werden echte Brücken gebaut zwischen der Wiener Klassik und der Avantgarde, wobei auch die virtuose Tradition dieser Solopassagen nicht zu kurz kommt. Ganz besonders gelungen ist die Kadenz des Larghetto-Satzes: Sie beginnt mit einem Flug in die Stratosphäre, ganz behutsam arbeitet Widmann dann die Beethovenschen Themen ein. Die schwierigen Flageolettöne klingen dabei so mühelos, als kämen sie direkt aus dem Äther (n.b.: dies ist eine ungeschnittene Liveaufnahme!). Daß selbst desungeachtet dem Team Rattle / Eberle eine wunderbare, höchst lebendige Beethoven-Deutung gelingt, kann man ja ruhig auch noch erwähnen. Must-have? You bet! (2023/2025)