Rezension

Nach seinen beiden gefeierten Chopin-Alben (nachdem er 2021 den Warschauer Chopin-Wettbewerb gewonnen hatte) zeigt der Frankokanadier mit chinesischen Wurzeln nun ganz andere Seiten seiner Kunst. Das Album mit französischer Klaviermusik aus drei Jahrhunderten beginnt und endet mit Rameau – Liu spielt diese Stücke des „Vaters der Harmonie“ auf dem Konzertflügel, hat sich dafür aber sehr intensiv mit dem Cembalo befaßt und erstaunlich viel von dessen Charakter auf das moderne Instrument übertragen. Ravels „Miroirs“ passen in ihren hellen Klangfarben überraschend gut dazu. Was dieses Album aber zu einem wirklich besonderen macht, ist die Musik von Charles Valentin Alkan – der Liszt-Zeitgenosse (1813-1888) galt zu Lebzeiten als verschroben, seine Kompositionen als unspielbar. Der hochgelehrte Musiker beherrschte fließend hebräisch und altgriechisch (und weitere alte Sprachen) und befaßte sich „nebenher“ unter anderem mit Talmud- und Bibelübersetzungen. Sein Werk wurde zwar immer mal wieder beinahe wiederentdeckt (der Pianist Raymond Lewenthal etwa war ein engagierter Fürsprecher), hat aber immer noch lange nicht den ihm gebührenden Rang. Liu, fasziniert von der Person wie vom Werk, hat beschlossen, dies zu ändern – und könnte es vielleicht schaffen: Die Idee, seine Musik in den hier zu erfahrenden Kontext zu setzen, ist brillant und funktioniert. Und seine Alkan-Interpretationen sind absolut stupend: Man wünscht sich umgehend mehr davon! (2023)