Rezension
Neben Bachs Goldberg-Variationen ist Beethovens Opus 120 wohl der bedeutendste Variationen-Zyklus der Musikgeschichte. Mit Bachs Beitrag hatte sich der notorische Grenzüberschreiter Uri Caine bereits zwei Jahre zuvor auseinandergesetzt (mit ebenfalls begeisterndem Ergebnis); 2002 folgte diese außergewöhnliche Beethoven-Bearbeitung. Caine setzte die Musik neu, für Orchester und Solisten, und nahm (an einem herrlichen 1839er Erard-Flügel!) die Position des letzteren ein, in einem Sinne, wie er vor Beginn der starren bürgerlichen Konzertkultur durchaus üblich war, nämlich mit allen musikalischen Freiheiten ausgestattet, während das Orchester sich an die Partitur zu halten hatte. So läßt Caine in seinen Parts mal andere Beethoven-Kompositionen einfließen, mal verlässt er den Pfad auch gänzlich in Richtung Ragtime und Jazz, der Geist der Komposition aber bleibt stets erhalten. Zur Erinnerung: Der Verleger Anton Diabelli hatte eine sehr banale Eigenkomposition an die bedeutendsten Pianisten und Komponisten seiner Zeit geschickt, jeder sollte eine Variation verfassen, ein frühes Allstar-Projekt also. Beethoven, durchaus nicht begeistert darüber, mit oberflächlichen Modemusikern in einen Topf geworfen zu werden und außerdem von der Substanz des Themas wenig überzeugt, antwortete auf seine Art – mit einem Hauptwerk in Form von 33 Variationen, die die Vorlage sozusagen in Grund und Boden stampfen. Caine treibt das Spiel hier auf eigene Art weiter, sein zusätzliches Wissen um fast 200 Jahre Musikgeschichte dabei nicht verleugnend. Das Ergebnis ist so spannend wie auf hohem Niveau unterhaltsam – erfreulich, daß man sich endlich zu einer Vinylausgabe entschlossen hat. Caines „Goldberg“-Album darf gerne folgen! (2002/2019)