Rezension
Nur ein paar Monate vor dem legendären und in Hi-Fi dokumentierten Engagement im Village Vanguard spielte das hier auch schon um Eric Dolphy erweiterte klassische Coltrane-Quartett mit McCoy Tyner, Reggie Workman und Elvin Jones einen Monat lang im Village Gate, und gerade, weil diese Auftritte früher sind, sind sie für die Jazz-Geschichtsschreibung noch bedeutender. Daß es allerdings eine Aufnahme davon gibt, wurde erst unlängst entdeckt. Richard Anderson, damals Tontechniker im Gate (später arbeitete er u.a. für Nina Simone und Bob Dylan), wollte eigentlich nur sein neues Bändchenmikrophon ausprobieren und ließ am 14.7. mal testhalber das Band mitlaufen. Die Aufnahme schaffte es immerhin irgendwie in die New York Public Library for the Performing Arts, wo sie archiviert und vergessen wurde. Nun ist sie wieder aufgetaucht – man muß natürlich einige klangliche Abstriche machen gegenüber offiziellen Live-Aufnahmen der Ära, aber Andersons Resultat ist durchaus gut hörbar – und ihr musikalischer Repertoirewert kaum zu überschätzen. Allein die Version von „My Favorite Things“: Es war ja gerade erst ein Jahr her, daß Coltrane gezeigt hatte, was er mit diesem alten Standard machen konnte. Um wie vieles weiter treiben Dolphy und er das Stück hier in unbekannte Galaxien! Benny Carters „When Lights Are Low“, „Greensleves“ und Coltranes eigene „Impressions“ und „Africa“ sind in ähnlich aufregenden Versionen zu hören, und man versteht, vielleicht noch besser als beim Hören des „Village Vanguard“-Albums, sehr gut die Debatten, die das Zusammentreffen der beiden innovativen Giganten einst in der Jazzwelt auslöste (von „Anti-Jazz“ war da etwa die Rede): Man wird hier Zeuge echter Umwälzungen. (2023, rec. 1961)