Rezension
Zu den größten Verlusten, die über die Musikwelt im Jahre 2022 kamen, zählt sicherlich der plötzliche und unerwartete Tod der Trompeterin Jaimie Branch. Ein Jahr nach diesem tragischen Ereignis erscheint nun ihr letztes Album mit ihrem außergewöhnlichen „Fly Or Die“-Quartett (Drummer Chad Taylor, Bassist Jason Ajemian und Lester St. Louis an Cello, Flöte und Keyboards), es war bei ihrem Tod beinahe fertig gewesen. Es ist kein Vermächtnis – dafür wurde Branch zu unvermittelt aus dem Leben gerissen. Aber es ist ein weiteres und letztes Zeugnis der gewaltigen Kreativität und ansteckenden Energie einer genialen Musikerin, die es geschafft hatte, abgebrühte Jazzkritiker ebenso in Verzückung zu versetzen wie ein Indie Rock-sozialisiertes Publikum: Wenn in den vergangenen Jahren Jazz wieder zum lebendigen Underground-Phänomen geworden ist, zählte Branch sicherlich zu jenen treibenden Kräften, die dafür verantwortlich waren. Man sollte dieses Album, wenn es einem irgend möglich ist, nicht durch den „Filter“ des Verlusts wahrnehmen – sondern einfach als großartige, offene, innovative und dabei absolut zugängliche Musik. Das dürfte im Sinne ihrer Schöpferin sein, deren kurze Diskographie doch tiefe Spuren in der Jazzlandschaft hinterlassen hat. (2023)