Rezension

Wie kommt, so fragt man sich, im Jahre 2023 ein 17jähriges irisches Mädchen dazu, sich mit 100 Jahre altem Folk-Blues zu beschäftigen? Und das offenbar schon ziemlich lange, denn eine solche Picking-Technik lernt man nicht über Nacht? Und kann ein so junger Mensch diese Musik überhaupt in ihrer Tiefe empfinden? Die erste Frage läßt sich kaum beantworten, ohne persönlich nachzufragen; die zweite läßt sich immerhin eindeutig mit „JA“ in Großbuchstaben beantworten. Sicher, man hört die Jugend in ihrer Stimme, aber man hört auch, daß Muireann Bradley diese Songs von Mississippi John Hurt, Reverend Gary Davis, Blind Blake, Robert Wilkins, Sam McGee oder Elisabeth Cotton wirklich verstanden hat. Und mindestens so wichtig wie das, was sie singt, ist das, was sie spielt: Ihr Gefühl für Groove, für Dynamik, für Timing, für Akzente, die Elastizität ihrer Soli: Das ist schon mehr als nur beeindruckend. Und besteht auch jeden Vergleich mit alten Meistern wie Grossman oder Fahey, deren Arrangements von Traditionals sie hier gelegentlich aufgreift. Kurz vor Toresschluß noch eines der bemerkenswertesten Debütalben des Jahres! (2023)