Rezension
Ihr Vater, ein Hollywood-Millionär, starb sehr früh; ihren Bruder verlor sie wenig später durch einen Autounfall; mit ihrem Stiefvater verstand sie sich nicht. Die Weichen für eine tragische Existenz wurden für Judee Sill früh gestellt. Die zeitüblichen Drogenexperimente führten bei ihr sehr schnell zu einer extremen Heroinsucht; nach einem Entzug Ende der 60er widmete sie sich ganz der Musik (erste Kaffeehaus-Auftritte hatte sie schon zuvor absolviert). Ein Freund brachte sie mit David Geffen zusammen, der gerade Asylum Records gründete – Sills Debütalbum wurde die erste Album-Veröffentlichung des jungen Labels. Über Geffen lernte sie auch Graham Nash kennen, der ihr Songwriting-Talent bewunderte und ihre erste Single „Jesus Was A Cross Maker“ produzierte. Die Produzententätigkeit für die anderen zehn Songs des Albums (allesamt Eigenkompositionen) übernahm ihr Ex-Eheman Bob Harris, der etwa zeitgleich auch für Joni Mitchells „Ladies Of The Canyon“ einen erstklassigen Job erledigte. Stilistische Ähnlichkeiten sind also kein Zufall. Trotz dieser Tatsache, erstklassiger Songs, wundervoll poetischer Texte und Sills warmer Stimme blieb dem Album der verdiente Erfolg versagt; auch die enthusiastischen Kritiken und eine gemeinsame Tour mit Nash und David Crosby halfen nichts. Verstehen kann man das nicht – aber selbst ein Nick Drake konnte sich damals nicht durchsetzen. Und dem transatlantischen Kollegen nicht ganz unähnlich war Sill zwar talentiert und äußerst perfektionistisch, aber in der Kunst der Selbstdarstellung nicht bewandert. Und die braucht man in diesem Geschäft, selbst in jenen oft verklärten Jahren um 1970. – Kevin Gray masterte diese Ausgabe von den Originalbändern; der 45 UPM-Schnitt läßt dieses Songwriter-Kleinod endlich so hell strahlen, wie es das verdient. (1971/2017, Pressung aktuell)