So wütend hatte Polly Jean Harvey schon lange nicht mehr geklungen. Doch war ihr neuntes Album keine Rückbesinnung aufs Frühwerk, sondern eher dessen Symbiose mit den letzten, folkorientierten Werken. Harvey war weit gereist in den vorangegangenen Jahren, sie war in Washington, D.C., sie war im Kosovo und in Afghanistan, um „die Luft zu riechen“ an den Schaltstellen und Brennpunkten der Welt. Man spürt diese direkten Erfahrungen in diesen Songs, die natürlich Protestsongs sind; hörbar aber geschrieben von jemandem, der die Mißstände und Schieflagen des Planeten nicht nur aus dem Fernsehen kennt, sondern sie selbst beobachtet hat. Sie sind messerscharf, diese Songs, und Harvey muß schon lange nicht mehr schreien und keifen, um gefährlich zu klingen. So hoch ist die Spannung, daß man erst spät bemerkt, daß die instrumentale Begleitung gar kein bratziger Alternative Rock ist, sondern kunstvoll arrangierter Kammer-Folk, bei dem Terry Edwards‘ Saxophon meist die Rolle der Leadgitarre übernimmt – die Musik wirkt aufgrund ihrer vibrierenden Energie weit lauter, als sie eigentlich ist. Kunstmusik mit der Aufs-Maul-Wirkung von Punk: Das können nicht viele. (2016/2022)