Rezension
Das Zeitalter des Belcanto: man wähnte es vergangen. Für immer verloren schien die hohe Kunst des Gesanges spätestens, seit drei ehemalige Startenöre in Fußballarenen mit „Dein ist mein ganzes Herz“ ihre Rolexuhren anschmachten durften und damit auch noch in die obersten Regionen der Pop-Charts vordrangen. Doch hat die Kultur überlebt (wenigstens vorläufig). In kleinen Nischen wie dem Liedgesang, doch auch auf der Opernbühne. Im Moment erleben wir gar eine neue Blüte: Mit der russischen Sopranistin Anna Netrebko hat die Opernwelt einen neuen Star, einen Stern von einer Leuchtkraft, der über die üblichen Insiderkreise hinausgeht und auch weite Teile der Außenwelt erreicht. Spätestens die Liveübertragung der Salzburger Traviata-Inszenierung vom August 2005, um deren Aufzeichnung es sich hier handelt, dürfte auch die eingefleischtesten Zweifler (die jedem Presse-Hype mit Recht skeptisch gegenüberstehen, erst recht, wenn jener von den Musik- in die Boulevard-Postillen überschwappt) überzeugt haben: Hier ist tatsächlich ein neues Talent aufgetaucht, wie wir es seit vielen Jahren, ja seit Jahrzehnten nicht erlebt haben. Eine Sopranistin, deren makellose Technik so selbstverständlich ist, daß sie sie transzendiert hat und in den Dienst reiner Musikalität stellen konnte. Die in lyrischen Momenten ebenso fasziniert wie in solchen von dramatischer Spannung auf Leben und Tod, an denen die italienische Oper des 19. Jahrhunderts so reich ist. Und die, nicht zuletzt, auch schauspielerisch brillant ist – soviel Bühnenpräsenz, solche Ausstrahlung ist selten! Auf letztere müssen wir Schallplattenhörer naturgemäß verzichten, doch ist das, was hier auf rein musikalischer Ebene geschieht, aufregend genug. Selbst alte Opernaficionados, die ihr gutes halbes Dutzend Traviatas im Regal stehen haben, können ihre Sammlung mit dieser Aufnahme im wahrsten Wortsinne noch bereichern: Hier klingt der alte Verdi-Stoff endlich wieder neu. Was übrigens, man darf das nicht verschweigen, nicht nur ‘La Netrebko’ geschuldet ist, sondern auch ihren kongenialen Partnern; vor allem ihrem ‘Traumpartner’ Rolando Villazón als Alfredo und Thomas Hampson als Germont. Es ist eine glückliche Fügung, daß eine solche Einspielung auch im Analogformat veröffentlicht wird. Natürlich ist die Aufnahme digital, doch sollte man zugestehen, daß die Digitalaufnahmen der letzten Jahre mit denen der 80er nichts mehr gemein haben und klangtechnisch durchaus akzeptabel sind, immer öfter sogar richtig gut. Bei Clearaudio hat man das erkannt und wird in nächster Zeit einige Vinyl-Erstveröffentlichungen präsentieren. Unsere eigenen Empfehlungen liegen dort bereits vor und sollen verstärkt berücksichtigt werden… Vorliegende Doppel-LP ist auf jeden Fall ein traumhaft guter Start! (2005)