Es ist ein äußerst seltenes Phänomen, daß eine Geigerkarriere ohne spieltechnische Einbußen so lange dauert wie die des Nathan Milstein. Knappe 70 Jahre war er zum Zeitpunkt dieser Aufnahmen, man möchte es kaum glauben. Die unglaubliche Virtuosität, die das Tschaikowsky-Konzert verlangt: Sie ist so selbstverständlich da; die Einspielung klingt sogar fast noch eleganter als die etwa 15 Jahre jüngere unter William Steinberg. Wobei sich das „aristokratische“ Element, bei Milstein auch in seinen jungen Virtuosenjahren schon durchaus vorhanden, im Alter bei ihm durchgesetzt hatte; dieser Tschaikowsky ist selten nur stürmisch, sondern wohldurchdacht gestaltet und sehr lyrisch. Es dürfte kaum eine andere Einspielung geben, in welcher der langsame Satz so intensiv ‚gesungen‘ wird wie hier. Gleiches gilt vielleicht noch mehr für Milsteins Alterseinspielung des Mendelssohn-Konzertes; neben den Bach-Interpretationen und dem Brahms-Konzert eine der bedeutendsten seines Spätwerkes und in ihrer gestalterischen Intensität fraglos zu den herausragendsten Aufnahmen des Werkes überhaupt zählend. Der Glanz, den Claudio Abbado einem Orchester zu verleihen in der Lage war: Hier hat er den perfekten Vordergrund. (1973/2016)