Rezension
Von Ernest Chaussons „Poème“, mit dem das Album eröffnet wird, einmal abgesehen, erwartet man bei einem nach der Stadt der Lichter und der Liebe benannten Album vermutlich andere Musik. Aber sowohl Prokofieffs erstes Violinkonzert (es wurde 1923 in Paris uraufgeführt) als auch das wohl letzte, unvollendet gebliebene Werk des finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara, ein Paar Serenaden für Violine und Orchester, haben einen Bezug zur französischen Hauptstadt. Im letzteren Falle ein persönlicher: Nach einer Aufführung von Rautavaaras Violinkonzert im Jahre 2014 mit Mikko Franck fragte Hahn den Dirigenten, ob dieser den mit ihm befreundeten Komponisten in ihrem Namen um ein weiteres Violinwerk bitten könne. Zwar starb der Finne im Juli 2016 mit 87 Jahren, doch hatte er die Komposition beinahe abgeschlossen; seine Witwe gab Franck das Manuskript; die „Deux Sérenades“ wurden im Februar 2019 mit Hahn und Franck in Paris uraufgeführt. Vom Konzept aber mal ganz abgesehen, handelt es sich hier um Hahns bislang vielleicht größte künstlerische Leistung – insbesondere das zentrale Werk Serge Prokofieffs betreffend, von dem es durchaus einige sehr hochrangige Konkurrenzeinspielungen gibt. Gramophone-Kritiker David Gutman stellt sie gar über die legendäre Aufnahme David Oistrachs (der neben Joseph Szigeti das Werk im Konzertrepertoire verankerte) mit Lovo von Matacic, was manchem als Sakrileg erscheinen mag – die hier gehörte Balance zwischen lyrischem Charakter und Entschlossenheit, die tonale Perfektion und das ideal ausgewogene Verhältnis zwischen Soloinstrument und Orchester sind allerdings in der Tat kaum zu übertreffen: Definitiv ist die Werkdiskographie hier um einen ihrer höchsten Gipfel reicher. Und das Rahmenprogramm mag ungewöhnlich sein, erweist sich aber als klug ausgewählt. Und den beiden hier erstmals eingespielten Serenaden – eine der Liebe, eine dem Leben gewidmet – wird man nicht zum letzten Mal begegnet sein, sie mögen stilistisch zwar als aus der Zeit gefallen scheinen (das galt bereits für Rautavaaras großen Landsmann Sibelius), sind aber eine unbedingte Bereicherung des Violinrepertoires. (2021)